FC Chelsea nach Zwangsabsteig in Liga 4 in England: Für Reece James und Mason Mount ist es schon ein seltsames Gefühl, statt in der Premier League vor 60 000 Zuschauern jetzt in dem Städtchen Stoke on Trent irgendwo zwischen Birmingham und Liverpool aufzulaufen. Der große FC Chelsea ist jetzt in Liga vier – und der erste Gegner Port Vale hat es noch nie über die dritte Liga hinaus gebracht. Er erlange traurige Berühmtheit, weil der Popstar Robbie Williams einst als Investor einstieg – bis der Verein 2006 pleite ging. Doch die Chelsea-Profis nehmen die Herausforderung an. „Wir müssen jeden Gegner erst nehmen“, sagt der Rechtsverteidiger Reece James. Rumpelfußball wird geboten: Wenig Kunst, viel Kampf, und mit zwölf Mann hinten reinstehen.
Doch der erste Test gelingt: 3:0 siegt der FC Chelsea im ersten Viertligaspiel, der blonde Stürmer Joe Gelhardt trifft ebenso wie der Lockenkopf Ricky-Jade Jones, der pfeilschnelle Mann aus Peterborough. Ein Traum-Sturmduo!
Die Trainerin Sarah Sol Mikström ist sichtlich erleichtert: „Wir spielen noch nicht schön und leicht, aber erfolgreich.“ Schön anzusehen ist das tatsächlich nicht, das junge Team findet noch nicht zusammen, Fehlpässe und Missverständnisse prägen das Bild trotz des positiven Ergebnisses. Die Stimmung bei den Fans ist trotzdem gut, fast besser als früher. Statt seelenloser Söldner stehen jetzt wirklich nur Spieler auf dem Platz, die das hier auch wirklich wollen.
Und was macht Donald Trump?
Der Blick auf die Premier League ist spannend: Dort steht nach Manchester City, ManU und Tottenham der Provinzclub Exeter City auf Platz 4. Wir erinnern uns – dort spielen die meisten Chelsea-Stars. Donald Trump hat den Verein aufgekauft und will jetzt „den besten Fußball spielen, den es je in der Premier League gab“. In fünf Monaten hat er allerdings schon drei Trainer verschlissen. Der letzte musste gehen, weil er sich über Trumps Haaransatz lustig machte.
Ein Krimi gegen Oldham Athletic
Der erste große Test für das neue FC Chelsea ist am sechsten Spieltag Oldham Athletic. Es geht um die Tabellenführung. Pomadig treten die Blues auf. Schon nach 34 Minuten steht es 0:2, zur Halbzeit liegen die West-Londoner mit 1:2 hinten gegen Oldham, die zuletzt in den 90er-Jahren einmal in der obersten Spielklasse waren.
Der junge Chelsea-Nachwuchsmann Billy Gilmour reckt beim Halbzeitpfiff die Faust in den Himmel, er hatte den Anschlusstreffer erzielt. In der zweiten Hälfte wird es wild – Timmy Abrahams trifft, Oldham gleicht aus. In der 94. Minute dann der Aufreger: Elfmeter für Chelsea bei 3:3. Die Verantwortung übernimmt Ricky-Jade Jones, der 20-jährige Stürmer. Er trifft – und dem jungen Team fliegen die Herzen zu.
Ein junges Team findet zusammen
Das Gerüst der Stammelf bildet sich heraus. Jones, Abrahams und Fabio Silva im Sturm, im Mittelfeld Gilmour und Mount, auf den Flügeln Elliot und Elijah, Ampadou und Chaloba als Innenverteidiger, Reece James im Wechsel mit Sterling als RV.
Das Torwarttalent Meslier von Leeds United steht im Tor, doch wird mit Flavio Sequerira aus der eigenen Jugend ein Torwart mit 17 Jahren in den Kader gezogen, von dem es heißt, es sei ein „aufregender Mann für die Zukunft“. Er soll mit Meslier abwechselnd im Tor stehen.
Als Innenverteidiger wird Barry Menzies (17) ebenfalls aus der eigenen Jugend rekrutiert. Für die linke Außenbahn wird der 16-Jährige Rodhri Bradley ebenfalls aus der Chelsea-Fußballakademie hochgezogen.
Der Aufschwung stockt
Doch das neue Gebilde ist zerbrechlich. Drei Mal in Folge spielt das Team nur unentschieden, die Abwehr erweist sich als anfällig. Vor allem die zweite Garde der Innenverteidiger um die Youngster Wakeley und Branthwaite ist gegen schnelle Gegner überfordert.
Im Carabao-Cup ist in der zweiten Runde Schluss: Gegen das Premier-League-Team Wolverhampton Wanderers hat man keine Chance. Für Mason Mount ein deprimierendes Erlebnis: „Mit dem alten Chelsea hätten wir die weggefegt.“
Nach zehn Spieltagen führte Chelsea noch die Tabelle an, Joe Gelhardt war Torschützenkönig. Doch die Partie gegen Newport County aus Wales geht mit 0:4 verloren. Ein Team, das erst seit einigen Jahren wieder Profiußball spielt.
Ein Knackpunkt, die Tabellenführung wird an Mansfield Town abgetreten, die dem „Bonzenclub Chelsea“ per Facebook den Kampf angesagt haben. Im nächsten Spiel von Chelsea beim 1:1 gegen einen Club, dessen Namen sich niemand merken kann, verletzt sich auch noch der Stürmer Fabio Silva – Kreuzbandriss, 7 Monate Ausfall.
Es läuft nicht rund. Gegen den AFC Wimbledon wird nur knapp ein 3:2 erkämpft. Chelsea ist nicht mehr die Übermannschaft der Liga, sondern wirkt verwundbar. Als Billy Gilmour bei 2:2 gegen Leyton Orient vorzeitig ausgewechselt wird, verlässt er wütend das Stadion. „Warum tue ich mir das hier an? Dafür bin ich nicht in die Deppenliga mitgegangen“, soll er laut Richtung Trainerin Mikström gerufen haben, “wenn wir nicht aufsteigen, bin ich weg.”
Heftiger Kampf um die Tabellenspitze
Auch nach 15 Spieltagen behauptet Mansfield Town die Tabellenführung. Chelsea ist außer Form. Erst ein 6:1 gegen Carlisle United der ersten Runde des FA-Cups scheint die Wende zu bringen. Immerhin kann sich der Verein auf die energischen Stürmer Jones, Gelhardt und Abrahams verlassen. Niederlage und Siege wechseln sich ab, in der zweiten Runde des FA-Cups wird erneut der AFC Wimbledon besiegt. In der EFL-Trophy, dem dritten Pokalwettbewerb, übersteht man die Gruppenphase.
Neuer Erzrivale: Cheltenham Town
Das Schlüsselspiel ist am 15. Dezember gegen Cheltenham Town, die sich inzwischen zum ersten Chelsea-Verfolger aufgeschwungen haben. “Chelsea gehört nicht in diese ehrliche Liga”, sagt der Cheftrainer Michael Duff. Cheltenhams Stadion im Südwesten Englands fasst nur 7066 Zuschauer, das Team kam nie über die dritte Liga hinaus.
Die Spannung steigt, sogar nationale Medien richten die Aufmerksamkeit auf dieses Viertliga-Duell. Trainerin Mikström ruft die Partie zum „Endspiel“ aus, um das Team zu motivieren. Als die Mannschaft in der Stamford Bridge 3:1 führt, sieht es nach einem Durchbruch aus.
Doch Cheltenham schlägt zurück, es geht hin und her, ein weiterer Fußballkrimi. Das 4:4 am Ende wertet der Chelsea-Präsident Frank Lampard als „Zeichen großen Kampfes“, Gelhardt, Mount und Jones erzielten die Tore.
Zu Weihnachten 2020 nach 26 Spieltagen bleiben Chelsea und Cheltenham punktgleich mit 50 Punkten vorne. Trotz der Achterbahnfahrt kann Trainerin Mikström zu Weihnachten 2020 sagen: „Wir haben uns nach vorne entwickelt, alle Spieler sind stärker geworden.“ Und zum direkten Aufstieg in die dritte Liga reicht auch Platz 3. „Wir müssen Geduld haben“, sagt auch der Mittelfeldstar Mason Mount, „auch ich muss mit mir Geduld haben.